Fachkräftemangel im Dritten Sektor: Welche Fachkräfte beste Chancen auf den Einstieg in eine NGO haben
Beim Begriff »Fachkräftemangel« denkt man oft zunächst an die IT-Branche oder den Pflegesektor und weniger an die grundsätzlich sehr begehrten Jobs in NGOs. In welchen Tätigkeitsbereichen haben es Arbeitgeber im gemeinnützigen Sektor besonders schwer, ihre Stellen zu besetzen?
Annika Behrendt: Auch wenn der Fachkräftemangel in anderen Branchen medial viel präsenter ist, hat auch der Dritte Sektor seine Probleme damit. Gründe dafür sind z.B. sehr NGO-spezifische Profile, aber auch die Konkurrenz mit der (oft besser zahlenden) Wirtschaft um Spezialist*innen. Deshalb werden insbesondere Fundraiser*innen, Campaigner*innen, Social Media-Profis, kaufmännische Leitungen und IT-Expert*innen (von Systemadministration bis zu Softwareentwicklung) gesucht.
Hat das Thema Fachkräftemangel überhaupt eine Relevanz in Zeiten von Corona?
Annika Behrendt: Wenn wir Nachrichten lesen, geht es um Kurzarbeit, Kündigungswellen und massiv gestiegene Arbeitslosenquoten. Natürlich liegt es da nahe anzunehmen, dass Fachkräftemangel erst mal kein dringendes Problem mehr ist. Aber der Eindruck täuscht: Die Entlassungswellen finden (zumindest aktuell) nicht im Dritten Sektor statt und gute Mitarbeitende an zentral wichtigen Positionen werden als allerletzte entlassen. Wir werden es also weiterhin schwer haben, die kaufmännische Geschäftsführerin oder den Großspenden-Fundraiser zu finden! Unsere Zahlen belegen das: Wir bekommen zwar durchschnittlich mehr Bewerbungen, aber das schlägt sich nicht unbedingt in einer gestiegenen Anzahl von Top-Kandidat*innen nieder.
Was sind die Gründe für den Fachkräftemangel im Dritten Sektor?
Annika Behrend: Einerseits haben sich Anforderungen an bestimmte Stellen stark verändert, das hat mit dem Professionalisierungsschub vieler Organisationen zu tun. So stehen wir immer häufiger auch vor der Herausforderung, dass neue Profile entstehen, die es vor zwei Jahren noch gar nicht gab. Der demografische Wandel tut sein Übriges, insbesondere, weil wir immer mehr mit der Wirtschaft um geeignete Bewerber*innen konkurrieren, z.B. um Software-Entwickler*innen, IT-Systemadminstrator*innen, Online-Marketing-Expert*innen, Social-Media-Redakteur*innen, Vertriebler*innen und so weiter. Da ziehen wir durchaus oft den Kürzeren, vor allem hinsichtlich der Bezahlung von hochqualifizierten Arbeitskräften. Ein weiteres Problem ist, dass der Dritte Sektor so unbekannt ist. Viele qualifizierte Arbeitskräfte sind sich gar nicht bewusst, dass sie ihre Fähigkeiten und Kompetenzen auch bei NGOs, gemeinnützigen Organisationen oder Stiftungen einbringen können.
Wie überzeugen Quereinsteiger*innen bei ihrer Bewerbung? Unterscheidet sich der Bewerbungsprozess im Dritten Sektor von dem in der freien Wirtschaft?
Annika Behrendt: Quereinsteiger*innen sollten auf dem Schirm haben, dass sie im Zweifelsfall auf einige Voreingenommenheiten bezüglich Motivation und Passung stoßen und deshalb das Anschreiben gezielt dafür nutzen, plausible Antworten zu bieten auf Fragen wie: »Warum möchte die*der denn auf einmal in einer NGO arbeiten?« »Will die*der nicht viel zu viel Gehalt?« »Passt die*der bei uns rein?« Wenn das erfolgreich war, ist für das Vorstellungsgespräch Neugier, Offenheit und Fleiß angesagt, um das Gegenüber davon zu überzeugen, dass man es ernst meint. Machen Sie sich zum Ziel, die beste vorbereitete Person im Bewerber*innenfeld zu sein!
Denn ansonsten sind Bewerbungsprozesse im Dritten Sektor und in der Wirtschaft ungefähr vergleichbar – wobei in der Wirtschaft punktuell schon mehr auf Digital Recruiting, Direktansprache und standardisierte Testverfahren gesetzt wird. Im Dritten Sektor überwiegen hingegen immer noch die guten alten Ausschreibungen und Vorstellungsgespräche vor Ort.
Unser Artikel »Einstiegsmöglichkeiten bei NGOs« liefert ausführliche Informationen, mit welchen Strategien der Sprung in den gemeinnützigen Sektor gelingt.
Besonders im gemeinnützigen Sektor ist der »Verdeckte Arbeitsmarkt« verhältnismäßig groß: Hier wird ein Großteil der Stellen gar nicht erst öffentlich ausgeschrieben, sondern über interne Kanäle vergeben. Das kann für Quereinsteiger*innen ziemlich frustrierend sein. Welche Strategien können Sie empfehlen, zu diesen Stellen doch Zugang zu erhalten?
Annika Behrendt: Da hat sich in den letzten Jahren schon Einiges verändert und immer mehr Stellen werden auf Portalen wie Talents4Good, tbd und NachhaltigeJobs veröffentlicht. Grundsätzlich ist es aber zusätzlich sinnvoll, die eigenen Social Media-Profile auf z.B. Xing und LinkedIn aktuell und aussagekräftig zu halten und Veranstaltungen zum Netzwerken zu nutzen. Die oben genannten Portale und die dazugehörigen Newsletter verfügen übrigens auch über Veranstaltungskalender.
Studiengänge im Bereich Campaigning & Fundraising gibt es (bisher) leider nur sehr wenige. Welche Möglichkeiten habe ich als Quereinsteiger*in, mich dennoch entsprechend zu qualifizieren, z.B. durch Weiterbildungen? Was sollte eine gute Weiterbildung in diesem Bereich bieten?
Annika Behrendt: Auch hier entstehen immer mehr neue Angebote. Neben der Fundraising Akademie bieten z.B. das Major Giving Institute und seit kurzem auch Talents4Good spezifische Fundraising-Weiterbildungen an. Die neu gegründete Campaigning School hingegen qualifiziert angehende NGO-Kampagnenprofis.
Welche Berufsgruppen sind potenzielle Fundraiser*innen? Aus welchen Gründen sind diese Berufsgruppen gut geeignet als Quereinsteiger*innen?
Annika Behrendt: Beim Fundraising kommt es darauf an, Menschen an eine Organisation zu binden. Ein*e Fundraiser*in sollte ein hohes Maß an Motivationsfähigkeit, sehr gute Kommunikationsfähigkeiten und Empathie mitbringen. Zudem ist eine hohe Frustrationstoleranz sehr wichtig, denn nur wenige Menschen, die um Spenden gebeten werden, sind auch tatsächlich bereit dazu. Generell sind Menschen aus dem Bereich Kommunikation, PR/ Öffentlichkeitsarbeit oder Vertrieb prädestiniert für einen Quereinstieg ins Fundraising. Marketing-Fachleute haben Fähigkeiten, die sie perfekt im Kleinspenden- und Online-Fundraising einbringen können. Hier müssen Organisationen aber genau prüfen, ob sie einerseits die nötigen Qualifikationen mitbringen, aber auch, ob die Rahmenbedingungen im Fundraising für die Kommunikations-Fachleute attraktiv sind.
Einen umfassenden Einblick in das Berufsfeld Fundraising gibt es in unserem Job Portrait.
Welche Angebote bietet Talents4Good für Jobsuchende, die den Sprung in den Dritten Sektor wagen wollen?
Annika Behrendt: Der Sprung in den Dritten Sektor beinhaltet ja nicht nur die Bewerbung um einen neuen Job, sondern zuallererst die Auseinandersetzung damit, was ich als sinnstiftend empfinde, wofür ich brenne, wo ich meine Stärken gut eingesetzt sind und meine Werte gelebt werden. Das sind sehr individuelle und persönliche Fragestellungen, für die wir mit unserem Karriere-Workshop und in unseren Karriere-Coachings Hilfe anbieten.
Wer sich für das Thema Fundraising interessiert, hat die Möglichkeit, sich in unserem Fundraising-Bootcamp vom 20. bis 22. November 2020 in Hannoversch Münden (nahe Kassel) das nötige Handwerkszeug für den Einstieg anzueignen.
Impactify-Mitglieder erhalten 10 % Rabatt (d.h. 230 EUR) auf das Fundraising-Bootcamp von Talents4Good.
Über Annika Behrendt:
Annika studierte Kulturwissenschaften in Leipzig und Aix-en-Provence. Bei Talents4Good macht sie ihre Begeisterung fürs Zwischenmenschliche zum Beruf: Sie berät Arbeitgeber*innen zur Stellenbesetzung und hilft Talenten, ihren Traumjob mit Sinn zu finden. Mit Filmen, Kunst und Yoga verbringt sie am liebsten ihre freie Zeit.